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Psychoonkologin Dr. Tonja Deister im Interview mit dem Bergsträßer Echo über ihre Hilfe bei Brustkrebspatientinnen

21.10.2021

In gemeinsamen Gesprächen kümmert sich Dr. Tonja Deister um das Seelenleben der Patientinnen. (Foto: Thorsten Gutschalk)

Oktober. Der Herbst ist da. Die Kastanien fallen von den Bäumen, Laub bedeckt die Wege. Eigentlich sehr romantisch, doch der Oktober ist auch der Monat des Brustkrebses. Jedes Jahr wird dann weltweit auf die Krankheit sowie die Präventionshilfe hingewiesen.

Psychoonkologin Dr. Tonja Deister beschäftigt sich nicht erst seit dem 1. Oktober mit der Thematik. Seit 2007 betreut und begleitet die Ärztin Brustkrebspatientinnen und -patienten im Kreiskrankenhaus Bergstraße (KKH) in Heppenheim auf einer psychologischen Ebene.

Es ist ein sehr intimes Verhältnis, dass die Patientinnen und Deister schon nach wenigen gemeinsamen Sitzungen verbindet. „Wahrscheinlich kenne ich ihr Inneres besser als jenes von vielen meiner eigenen Bekannten“, sagt die 50 Jahre alte Medizinerin.

„Wie geht es Ihnen mit Ihrem Körper?“ Mit dieser Frage beginnen viele erste Begegnungen zwischen Deister und den Frauen auf der gynäkologischen Station. Jeder Krankheitsverlauf und somit jede Therapie ist anders. Auf manche Frauen trifft Deister schon vor der endgültigen Diagnose. Pro Jahr gibt es im KKH rund 180 neuaufgetretene Brustkrebsfälle, davon ein bis zwei Männer. Doch fünf- bis sechsmal mehr Personen kommen zur Abklärung ins Brustzentrum in Heppenheim. Bei diesen handelt es sich dann um gutartige Befunde.

Im Falle einer Brustkrebsdiagnose bietet Deister dann das gemeinsame Gespräch an. Sie will den Betroffenen helfen, mit den Therapieschritten und den Belastungen, die durch die Erkrankung aufkommen, zurechtzukommen. „Eine Tumordiagnose zu bekommen ist ein großer Klops“, sagt die Ärztin. Diese treffe schließlich nicht nur Menschen, die „ansonsten gerade glücklich und ausgelassen im Leben stehen“. „Bestimmt ein Drittel der Patientinnen hat bereits eine andere große Baustelle“, berichtet Deister von ihrer Arbeit. Das können Probleme in der Familie sein oder etwa eine Neuorientierung im Beruf.

Viele der Patientinnen denken bei einer Krebsdiagnose an „großes Leid und einen frühzeitigen Tod“, so Deister. Deshalb sei es wichtig, mit großer Fürsorge und Achtsamkeit auf die Menschen zuzugehen. „Je früher wir einen Befund diagnostizieren können, desto größer sind die Heilungschancen“, sagt Deister. Nun haben jedoch ausbleibende Untersuchungen bei Frauenärzten oder in Mammographiezentren aufgrund der Corona-Pandemie dafür gesorgt, dass Erkrankungen erst deutlich später erkannt wurden als üblich. „Wir haben vermehrt fortgeschrittene Befunde“, sagt Deister. Teils handle es sich dabei nicht nur um ein halbes Jahr, sondern deutlich mehr Zeit, die vergangen sei. „Regelmäßige Vorsorge für Frauen ist kein Luxus“, findet die Psychoonkologin. „Nicht jeder Knoten ist ertastbar.“

In den Gesprächen versucht Deister mit ihren Patientinnen eine Strategie zu finden, mit der Diagnose umzugehen. Jede sei dabei sehr individuell, auch bei den betroffenen Männern sei die Arbeit nicht anders als bei jener mit Frauen. „Jede muss ihren eigenen Weg finden, mit der Krankheit umzugehen. Wichtig ist es, die Dinge klar zu bekommen und zu benennen: Was macht mir Angst?“, erklärt Deister. Bei einer Chemotherapie könne das beispielsweise die Übelkeit sein, aber auch der Haarverlust. Dann sucht Deister mit den Patientinnen nach Lösungen, die wenigstens ein bisschen der Angst nehmen können. Das können Adressen für Perückengeschäfte oder Videotutorials für Perücken und Make-up sein.

Für viele Frauen sei vor allem auch die spezielle Krebsart schwer zu verkraften. „Es ist schon für viele ein großer Unterschied, ob ich an einem identitätsstiftenden Organ wie der Brust einen Eingriff bekomme oder beispielsweise am Dünndarm“, so Deister.

Wie Angehörige mit einer erkrankten Person umgehen sollen, dafür kann Deister keinen allgemeingültigen Rat geben. Es komme darauf an, wie die Person ticke. „Manche suchen Nähe, andere wollen allein sein. Das ist weder richtig noch falsch. Wenn es für diese Frau stimmig ist, ist das ganz wunderbar.“

Da auch die Angehörigen oft einen gewissen Gesprächsbedarf haben, gibt es häufiger auch mal ein Gespräch mit der ganzen Familie. Prinzipiell könne sie immer auch mal mit einzelnen Angehörigen allein reden. „Aber wenn da grundsätzliche, fundamentale Dinge sind, für die mehr Gesprächsbedarf besteht, muss sich derjenige anderweitig Hilfe holen.“ Das könne sie nicht leisten. Doch das KKH versucht, ambulante psychotherapeutische Praxen zu vermitteln. Für Kinder von Betroffenen gibt es vor Ort im Kreiskrankenhaus eine therapeutische Gruppe der Vitos.

Bergsträßer Echo vom 20.10.2021, von Bianca Beier