Interview mit Diabetesberater Andreas Kolb: „Wir können den Wind nicht beeinflussen, aber die Segel richtig setzen“
12.11.2021
Diabetes hat viele Facetten. Er wird zwar in vier unterschiedliche Typen unterteilt, aber jeder Diabetes sei individuell, macht Andreas Kolb gleich zu Anfang deutlich. Mit 6 - 8 Millionen Betroffenen in Deutschland ist der Typ-2 der bekannteste und häufigste – etwa 90% der Betroffenen haben diesen Typus. Bei ihnen besteht, anders als bei Typ-1, eine Insulinresistenz, oftmals vererbt aber auch eine Folge aus ungesunder Ernährung und Bewegungsmangel.
Einfach erklärt, transportiert das Hormon Insulin, hergestellt in der Bauchspeicheldrüse, den Zucker aus der Nahrung über das Blut in die Zellen, damit diese daraus Energie gewinnen können. Menschen mit Diabetes vom Typ-1 produzieren kein bis kaum Insulin selbst, sie benötigen Insulin oft schon im Kindesalter. Beim Typ-2 Diabetes, der sehr viel häufiger vorkommt, funktioniert die Insulinproduktion, aber die Zellen sind „resistent“ und können Zucker nicht gut aufnehmen.
„Haben wir zu wenig Muskelgewebe (hier könnte der Zucker aktiv verbrannt und der Blutzuckerspiegel gesenkt werden) und zu viel Fettgewebe (hier wird weniger Zucker verbrannt), so muss die Bauchspeicheldrüse zum Aufrechterhalten des Blutzuckers im Normalbereich immer mehr Insulin produzieren und schafft es irgendwann nicht mehr“, erklärt der Diabetesberater den Typ-2 aus medizinsicher Sicht. Die Folge? Wenn der Zucker ständig erhöht ist, verzuckern die Eiweiße im Blut. Es fließt nicht mehr gut durch die Adern, es kann weniger Sauerstoff, Nährstoffe und Abfallstoffe in und aus den Zellen transportieren. Das fördert Durchblutungsstörungen, die bis zum Schlaganfall oder Herzinfarkt führen können. „Aber auch die Nerven verzuckern“, weiß Andreas Kolb, „was dazu führt, dass Verletzungen nicht mehr gut wahrgenommen werden und der Körper nicht mehr richtig auf Entzündungen reagieren kann.“
Gebote statt Verbote – das Beratungsmotto am Kreiskrankenhaus
Die Schwierigkeit bei Diabetes liegt auch darin, dass die Menschen in der Regel erst einmal nichts von ihrer Insulinresistenz merken. Laut Lehrbuch sind die Symptome: viel Durst, häufiges Wasserlassen, Antriebslosigkeit, Sehstörungen oder trockene Haut. „Aber oftmals wissen Betroffene gar nicht, dass sie Diabetes haben. Die Dunkelziffer bei Typ-2 liege bei rund 2 Millionen Menschen in Deutschland: „Die Krankheit stellen wir oftmals erst bei uns im Krankenhaus fest, wenn wir Blut abnehmen und sehen, dass der Blutzuckerspiegel bei über 160 mg/dl liegt - gesunde Menschen haben nüchtern einen Blutzuckerspiegel von 60-110 mg/dl. Dann finden wir heraus, welcher Typ es ist und gehen die Therapie an“, sagt der Diabetesberater am KKB.
Die Therapie ist bei Andreas Kolb immer verschieden: „Die Leute haben es weitgehend selbst in der Hand, wie es weitergeht und wie sie der Krankheit begegnen. Ich stelle mich auf jeden Menschen neu ein und versuche ihm auf Augenhöhe begegnen, damit er versteht, dass Diabetes zwar nicht heilbar ist, aber man damit gut leben kann, wenn man seinen Lebensstil ändert“. Gebote statt Verbote ist das Motto bei der hiesigen Diabetesberatung: „Die Freude am Leben, das Genießen von Essen darf man den Betroffenen nicht nehmen. Heutzutage kann durch die individuellen Zuckermessung, sehr gut ausprobiert werden, was geht und was nicht geht. Zwei Stücke Schwarzwälder sind zuviel, ein halbes Stück geht aber.“
Jeder habe seinen Diabetes, daher werde bei jedem Patienten individuell entschieden, „was können wir machen, wozu sind die Patienten bereit. Wichtig ist, Ängste ernst nehmen und nicht unter Druck setzen“, weiß Andreas Kolb aus langjähriger Erfahrung. Seit 1995 macht er die Diabetesschulung am Kreiskrankenhaus und hat sie gemeinsam im Team damals aufgebaut. Warum? „Ungefähr jeder vierte Patient kommt bei uns mit Diabetes ins Krankenhaus. Sie kommen mit ganz anderen Erkrankungen und haben den Diabetes als Nebendiagnose. Wir schauen uns dann gemeinsam im Team aus Ärzten, Pflege und Sozialdienst genau an, dass der Patient richtig eingestellt ist, da ein schlechter Stoffwechsel auch ein erhöhtes Infektionsrisiko und schlechtere Wundheilungen bedeutet“, erklärt er das Zusammenspiel aller Berufsgruppen im Krankenhaus. „Betroffene lassen wir nicht allein! Ich prüfe mit ihnen gemeinsam, was sie eventuell verbessern können, erkläre Zusammenhänge, lasse unsere Gefäßchirurgen oder den orthopädischen Schuhmacher kommen.“ Nach der Entlassung werden die Patienten dann in die Hände von niedergelassenen Diabetologen gegeben. Unterstützung und Motivation können sie zudem in der Selbsthilfegruppe erfahren, die Andreas Kolb leitet: „Egal ob bei uns Patient oder nicht, alle mit Diabetes sind hier herzlich willkommen! Gemeinsam besprechen wir in jeder Sitzung ein selbstgewähltes Thema und ich hole oftmals Referenten dazu.“ Wegen Corona pausiert die Selbsthilfegruppe allerdings momentan.
Zwei Tipps hat unser Diabetesberater noch zum Schluss des Interviews:
„Patienten geben an der Krankenhaustür den Diabetes nicht ab. Sie sollen ihre Selbstständigkeit im Krankenhaus behalten, daher ist es wichtig alle Materialien und das Equipment in die Klinik mitzunehmen.“ Es sei eine Chance, den Umgang mit der chronischen Erkrankung zu optimieren.
Und: „Lassen Sie ein Check-up machen, wenn in der Familie ein Diabetes-Risiko besteht. Mit der Stoffwechselkrankheit kann man heutzutage sehr alt werden, wenn man sich frühzeitig und stetig kümmert“
Danke Herr Kolb für den genauen Einblick in die lebhafte Diabetesberatung am Kreiskrankenhaus.
Alle Infos rund um das Thema Diabetes:
Die Diabetesberatung am Kreiskrankenhaus
Aktionen zum Weltdiabetestag
Der Weltdiabetestag wird seit 1991 als ein Tag der Internationalen Diabetes-Föderation (International Diabetes Federation, IDF) und der Weltgesundheitsorganisation WHO durchgeführt. Seit 2007 ist der Weltdiabetestag ein offizieller Tag der Vereinten Nationen.